„Wasserfall“ oder „agil“? – wie Sie den richtigen Ansatz für Ihr Projekt wählen

Unterschiedliche Projekte erfordern unterschiedliche Vorgehensweisen. Zwei sehr gegensätzliche Ansätze sind dabei das Wasserfall-Modell und das agile Vorgehen. XITASO Agile Coach Baptiste Grand zeigt, wie Sie herausfinden können, welche Methode die richtige für Ihr Projekt ist.

Die Stacey-Komplexitätsmatrix

Stellt man sich die Frage, ob man das Wasserfall-Modell anwenden sollte oder aber agil vorgehen möchte, kann die Stacey-Matrix zu Hilfe genommen werden.

Dabei stehen zwei Fragen im Vordergrund:

  • Wissen Sie, was zu tun ist? (Anforderungsachse)
  • Wissen Sie, wie man das macht? (Technologie-Achse)

Wenn Sie beide Fragen mit „Ja“ beantworten können, haben Sie Glück und es besteht keine Notwendigkeit, agile Methoden anzuwenden. Eigentlich benötigen Sie dann keinerlei Projektmanagement-Methoden, denn Sie wissen genau, was zu tun ist und wie Sie das tun können – Sie müssen es also einfach nur tun!

Wenn Sie sich mehr oder weniger sicher sind, was Sie tun sollen und wie Sie es tun sollen, dann befinden Sie sich im komplizierten Bereich der Matrix. Hier können Sie Ihr Projekt mit einer Wasserfall-Methode bewältigen. Sie könnten aber auch schon agile Ansätze verwenden und beispielsweise Kanban oder Scrum ausprobieren.

Sobald die Unsicherheit auf der Anforderungsachse größer wird, werden die Risiken in Bezug auf die Planung von Umfang, Zeit und Budget Ihres Projektes exponentiell höher und höher. An diesem Punkt ist es ratsam, eine dieser drei Einschränkungen zu beheben, um somit die Gesamtkomplexität zu reduzieren. Als Faustregel gilt, dass es oft am einfachsten ist, den Zeitdruck durch den Einsatz von Time-Boxing-Techniken wie z.B. Sprints zu reduzieren.

Wenn Sie auf der Matrix in den chaotischen Bereich kommen, sind Sie aufgeschmissen! Sie wissen weder, was Sie tun sollen, noch wie Sie es tun sollen und sollten Ihre Aktivitäten zunächst einstellen. Denn im Bereich des Chaos ist die Gefahr extrem hoch, dass Sie ein dysfunktionales Produkt zu spät und mit überzogenem Budget liefern. Also nehmen Sie erstmal etwas Abstand, atmen durch und hinterfragen noch einmal, was genau Sie tun wollen und warum.

Wenn Sie Ihr Vorhaben auf der Stacey-Matrix verorten konnten, sollten Sie in der Lage sein, zu entscheiden, wie Sie Ihr Projekt steuern. Sie sind jetzt bereit, einen Schritt weiter zu gehen.

Menschen als größte Herausforderung

Umfangreiche Projekte sind oft sehr komplex und werden von großen Teams bearbeitet. Und sobald man es mit Menschen zu tun hat, ist nichts mehr schwarz oder weiß. Bedenkt man das, wäre es sinnvoller, die Stacey-Matrix aus einer etwas anderen Perspektive zu betrachten und die beiden Fragen entsprechend umzuformulieren:

  • Wie zuversichtlich sind Sie, dass Sie wissen, was zu tun ist? (Anforderungsachse)
  • Wie zuversichtlich sind Sie, dass Sie wissen, wie man das macht? (Technologie-Achse)

Allerdings sind Menschen in der Regel nicht so gut darin, ihre eigene Position in Bezug auf Risiken und Gewissheiten einzuschätzen. Deshalb ist Poker auch ein so beliebtes Spiel –  wir müssen unsere Gewinnchancen aufgrund der aktuellen Situation abschätzen. Und sehr oft liegen wir dabei falsch, was das Spiel überhaupt erst so spannend macht.

Was können wir dagegen tun? Und was sind die nächsten logischen Schritte?

Die Checklisten-Illusion

Nun liegt die Versuchung nahe, diesen menschenbezogenen Teil einfach aus der Gleichung zu streichen, indem man eine klare, auf Kriterien basierende Checkliste definiert, anhand derer man entscheiden kann, welches Projekt man wie angeht. Derartige Checklisten sind aber nicht universell, sondern müssen für die eigene Organisation spezifisch definiert werden, da der Kontext, in dem sie entstehen und der Einfluss der Menschen, die sie erstellen, eine entscheidende Rolle spielt. Mittlerweile gibt es Hinweise, dass selbst Software oder Künstliche Intelligenzen den kognitiven oder kulturellen Bias ihrer Schöpfer tragen. Man kann also davon ausgehen, dass dasselbe auch für alle von Menschen geschriebenen Artefakte und somit auch für solche Checklisten gilt.

So wird eine Organisation, die in Bezug auf Innovation eher voreingenommen ist, wahrscheinlich eine Checkliste erstellen, die Risiken und Unsicherheiten minimiert. Das könnte wiederum dazu führen, dass sehr herausfordernde und komplexe Projekte als Wasserfall-Projekte durchgeführt werden, obwohl ein agiles Vorgehen deutlich sinnvoller wäre.

Checklisten können in vielen Fällen nützlich sein. Aber sie werden absolut nutzlos, wenn es um Menschen geht und wenn sich Kontext bzw. Rahmenbedingungen flexibel ändern. Harte Kriterien werden angesichts einer sich ständig weiterentwickelnden Welt schnell irrelevant. Ziele, die im Januar festgelegt wurden, sind oft schon im Juni nicht mehr so relevant und im November völlig überholt.

Menschen als Lösung des Problems

Der beste Weg, um zu entscheiden, wie eine neues Projekt durchgeführt werden soll, besteht darin, dessen Komplexität zu reduzieren – und zwar auf umfassende Weise. Zum Glück ist dies etwas, was Menschen erstaunlich gut können: Die Zerlegung komplexer Entwicklungen in einfachere Aufgaben war die Grundlage der industriellen Revolution – insbesondere unter der Führung von Frederick Taylor und Henry Ford – und ist immer noch die Grundlage jedes guten Projektmanagements.

Versuchen Sie dies auch zu tun, wenn Sie sich die Fragen der Stacey-Matrix stellen und beurteilen wollen, was Sie zu wissen glauben: Es ist sehr schwer, ein großes Projekt, an dem Hunderte von Menschen über mehrere Jahre beteiligt sind, umfassend zu beurteilen und in Bezug auf Umfang, Budget und Zeit einzuschätzen. Viel einfacher ist es, die Anforderungen und die technologische Komplexität von nur einer Funktionalität oder einer bestimmten Reihe von Funktionen zu beurteilen.

Nun haben Sie das Problem zwar in kleinere und einfacher zu handhabende Teile zerlegt, aber den Einfluss Ihres eigenen Bias haben Sie damit noch nicht verringert. Dafür gibt es eine ganz einfache Lösung: Beziehen Sie mehr Menschen in den Beurteilungs- und Entscheidungsprozess mit ein und stellen Sie sicher, dass Sie eine möglichst vielfältige Gruppe von Personen integrieren, die mehrere Teile Ihrer Organisation repräsentiert.

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Baptiste Grand
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