Die Verwaltungsschale als standardisierter „Digitaler Zwilling“

Interoperabilität ist neben Souveränität und Nachhaltigkeit eine Säule des Leitbilds für die Industrie 4.0 und genau in diesem Handlungsfeld geht es um Standards und Integration. Gerade bei unseren Kunden im Maschinen- und Anlagenbau ist Integration ein großes Thema und damit auch die Verwaltungsschale (VwS, AAS: Asset Administration Shell), da sie hilft, diese Integration durch Standards zu erleichtern und zukunftsfähig zu gestalten.

Im Interview erklärt Christian Heinrich von XITASO, was genau die Verwaltungsschale ist und in welchen Use Cases sie konkret unterstützen kann. Ein Projekt mit unserem Kunden Wittenstein SE gibt dabei Einblicke in die Praxis.

In zwei Sätzen erklärt: Was ist denn diese Verwaltungsschale?

Vereinfacht gesprochen ist die Verwaltungsschale ein „Datenstecker“, also die eine (Schnitt-)Stelle, über die ich alle Daten bzw. Informationen zu einem bestimmten Asset/Gerät/Bauteil finden bzw. ablegen kann. Man kann auch weitergehen und sagen, dass die Verwaltungsschale eine (manche würde sagen „DIE“) Umsetzung des „Digitalen Zwillings“ ist und somit auch Grundlage für die Industrie 4.0 darstellt.

Hast du ein konkretes Beispiel für die Verwaltungsschale?

Klar! Wir haben zum Beispiel mit unserem Kunden Wittenstein SE im Wittenstein Service Portal Daten zu Bauteilen aus dem SAP System über Verwaltungsschalen zur Verfügung gestellt.

Dazu wird die SAP Datenbank in einen „SAP Drop“ in der Cloud synchronisiert und über einen Extract-Transform-Load-Prozess (ETL) wird das Verwaltungsschalen-Repository befüllt. Für diesen ETL-Prozess haben wir ein Mapping von SAP Merkmalen auf die IRDI-Nummer aus dem ECLASS-Katalog, sodass die Merkmale mit der korrekten Semantik versehen sind und von jedermann klar verstanden werden können. Eine REST-API stellt nun für die Bauteile, also für jede einzelne Instanz, die Informationen im standardisierten Verwaltungsschalen-Format zur Verfügung. Das heißt man kann beispielsweise das Fertigungsdatum des Getriebes, das hier direkt vor mir liegt, über diese REST-API erfragen.

In diesem Beispiel wird auch die Metapher „Datenstecker“ gut greifbar, denn über diese REST-API können nun die Informationen zu einem Bauteil von verschiedenen Systemen verwendet werden. Die Integrierbarkeit dieser Bauteile hat sich dadurch nachhaltig verbessert.

Wie sieht denn so eine Verwaltungsschale aus?

Die Verwaltungsschale ist in Teilmodelle gegliedert wobei jedes Teilmodell einen Aspekt bzw. einen Use Case abdecken soll. Letztendlich sind Teilmodelle Gruppen von Merkmalen. Sie können hier auch online einige Verwaltungsschalen abrufen und sich so schnell ein eigenes Bild von einer Verwaltungsschale machen.

Hier sehen Sie einen Ausschnitt der Verwaltungsschalen-Liste. Eine Verwaltungsschale (AAS) hat hier immer die Teilmodelle (Sub) „Nameplate“, „Document“ und „Identification“, die meisten haben noch mehr.

Innerhalb eines Teilmodells finden Sie die Merkmale (Prop, Properties), die auch in Listen (Coll, Collections) verwaltet werden können. Ein Merkmal besteht aus einem Wert (Value), dem Werttyp (Value Type) und einer Semantic ID, um klar zu beschreiben, was dieses Merkmal bedeutet. Das markierte Beispiel im Screenshot ist das Merkmal „ManufacturerName“ im Teilmodell „Nameplate“ der Verwaltungsschale „Festo_3S7PM0CP4BD“. Dieses Merkmal hat den Wert „Festo AG & Co. KG“ (rechts im Screenshot) vom Typ „string“. Die SemanticID ist hier als „IRDI“ mit der Nummer „0173-1#02-AAO677#002“. Diese IRDI (International Registration Data Identifier) ist ein eindeutiger Identifier des Merkmals und im ECLASS-Katalog definiert, sodass jeder genau weiß, was dieses Merkmal bedeutet.

Eine Verwaltungsschale kann nicht nur als REST-API zur Verfügung gestellt werden, sondern auch als aasx-File. Dieses aasx-File ist im Open XML-Format, d.h. einfach die Endung .aasx durch .zip ersetzen und entpacken und schon sieht man die einzelnen XML oder JSON Files, die das Asset beschreiben. Bilder und PDFs können dort auch abgelegt sein. Einige Verwaltungsschalen im aasx-File-Format zum Herunterladen finden Sie hier.

Diese aasx-Files können Sie auch mit dem Aasx Package Explorer öffnen und sehen dann übersichtlich die Teilmodelle und Daten der Verwaltungsschale. Der Aasx Package Explorer ist open source auf github verfügbar und wird stetig weiterentwickelt. Mittlerweile kann er sogar lokal einen REST-API zur Verfügung stellen und auch Live-Daten visualisieren. Hier lohnt sich auf jeden Fall ein Blick.

Welche Teilmodelle bzw. Use Cases unterstützt nun die Verwaltungsschale?

Einige Teilmodelle sind bereits standardisiert, aber es steht jedem frei, für seinen Use Case ein neues Teilmodell zu erstellen und mit seinem Integrationspartner zu teilen. Die Standard-Teilmodelle werden von dem vom VDE DKE getragenen „Standardization Council Industrie 4.0“ gepflegt und veröffentlicht. Zudem hat das Projekt „InterOpera“ das Ziel, 50 konkrete, praktikable und interoperable Teilmodelle zu entwickeln. Ein regelmäßiger Blick auf diese Seite lohnt bestimmt.

Ein wichtiges Teilmodell ist zum Beispiel „Identifikation“, mit dessen Hilfe das spezifische Asset identifiziert werden kann. Es beinhaltet zum Beispiel den Namen des Herstellers, die Seriennummer und auch den eindeutigen Identifier des Assets (also der konkreten Instanz).

Ein anderes Teilmodell ist das „Typenschild“. Ein Teilmodell, das die Grundlage für die Industrie 4.0 bietet, denn hiermit lässt sich global auf die Geräteinformation zugreifen, die zudem unlimitiert groß und umfangreich sein kann. Außerdem kann diese Information auch dynamisch angepasst und auf jedem Display angezeigt werden und macht somit die Papierdokumentation überflüssig. Gerade bei kleinen oder auch günstigen Bauteilen entfällt somit der verhältnismäßig hohe Anteil der Kosten für den Druck und Versand.

Auf dieser Website der Plattform i4.0 sind einige Beispiele von Verwaltungsschalen mit Teilmodellen „Typenschild“, „Identifikation“ oder auch „Dokumentation“ präsentiert und vermitteln einen guten Eindruck, welche Informationen hier transportiert werden.

Sind weitere Use Cases denkbar?

Klar! Es steht jedem offen, ein eigenes Teilmodell zu definieren und für seinen individuellen Anwendungsfall anzupassen. Wie man ein Teilmodell erstellt wird in der Veröffentlichung „Verwaltungsschale in der Praxis / Wie definiere ich Teilmodelle, beispielhafte Teilmodelle und Interaktion zwischen Verwaltungsschalen?“ gut beschrieben.

Da alle Elemente innerhalb eines Teilmodells semantisch beschrieben sind (denn das fordert die VwS-Spezifikation), werden die neu erstellten Teilmodelle von jedem verstanden.

So kann ich zum Beispiel das Teilmodell „Bohren“ definieren und den Assets geben, die bohren können und dort beschreiben, welche Materialien, welche minimale und maximale Tiefe und Durchmesser die Bohrlöcher haben können. Dadurch ist es dann möglich, automatisiert das korrekte Asset für einen konkreten Auftrag zu finden. Und das eben nicht nur bei mir in meinem Unternehmen, sondern auch unternehmensübergreifend, denn jeder andere versteht, was ich im Teilmodell „Bohren“ beschrieben habe.

Zudem kann man auch erwartetes Verhalten des Assets unter verschiedenen Bedingungen in einem Teilmodell abbilden. Dieses Wissen über das Verhalten kann dann z.B. für Simulationen im Verbund mit anderen Komponenten herangezogen werden, um schon vor der tatsächlichen Inbetriebnahme etwaige Probleme zu identifizieren. Zudem können dann während des Betriebs Wartungen bzw. Reparaturen angestoßen werden, wenn das tatsächliche Verhalten dem erwarteten Verhalten nicht mehr entspricht.

Gibt es eine Open Source Community?

Ja! Im September 2020 wurde die „Industrial Digital Twin Association“ von VDMA, ZVEI zusammen mit bitkom und 20 Unternehmen gegründet, um eine Anlaufstelle für Entwickler*innen und Gestalter*innen zu bieten.

Wo finde ich denn weitere Infos zum leichten Start mit der Verwaltungsschale?

  • Eine gute Anlaufstelle ist Home of AAS, das ist die Website zum oben erwähnten github Repository.
  • Im Rahmen der bitkom-Veranstaltung „Verwaltungsschale für Software-Anbieter“ am 30.3.2021 habe ich gemeinsam mit Bernd Vojanec von Wittenstein SE einen Praxisbericht vorgestellt. Zur Aufzeichnung des Vortrags geht’s hier.
  • Eine ganze Reihe von Screencasts finden Sie hier.

Weitere interessante Informationen

Hier eine Visualisierung durch den „Asset Administration Shell Viewer”, den wir im Rahmen des eingangs erwähnten Wittenstein Projekts auf der Siemens Mindsphere Plattform gebaut haben, um eine Verwaltungsschale zu visualisieren.

Die hier gezeigte Verwaltungsschale bietet ein Teilmodell, das die Historie von Teach-In-Läufen vorhält, das heißt Wittensteins Smart Services schreiben über die REST-API in die Verwaltungsschale und stellen so diese Information wiederum anderen Diensten zur Verfügung.

Eine ausführliche Beschreibung des Projekts finden Sie hier.

Autor & Ansprechpartner

Christian Heinrich

christian.heinrich@xitaso.com